Die InterRidge Verpflichtungserklärung für verantwortungsbewusstes Forschen an hydrothermalen Quellen in der Tiefsee

 

ÜBERBLICK

Als Meereswissenschaftler schätzen wir insbesondere die Einzigartigkeit und Komplexität der Lebensgemeinschaften an den hydrothermalen Quellen in der Tiefsee. Wir sind besonders daran interessiert diese Lebensräume aus wissenschaftlichen, ästetischen, ökologischen, und wirtschaftlichen Gründen zu schützen. Aufgrund der speziellen Ausrüstung, die für die Arbeit an den hydrothemalen Quellen erforderlich ist, wie zum Beispiel bemannte und unbemannte Unterseeboote, sind es primär Wissenschaftler welche die Möglichkeit bekommen diese aussergewöhnlichen Orte zu besuchen. Das Risiko eine einzige Quelle und das Leben an solch einem Ort durch wissenschaftliche Aktivitäten zu stören ist ungleich geringer als die potentiellen Auswirkungen vulkanischer/tektonischer sowie industrieller Aktivitäten, wie der Abbau von Mineralien. Nichtsdestotrotz ist es uns bewusst, dass bestimmte wissenschaftliche Aktivitäten auf einzelne Quellen und den dort ansässigen Lebensgemeinschaften negativere Auswirkungen haben können als wirklich notwendig, sofern diese Aktivitäten nicht sorgsam geplant und ausgeführt werden. Zusätzlich arbeitet oftmals eine grosse Zahl an Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen an ein und derselben Quelle, da bisher nur wenige dieser Lebensräume in der Tiefsee entdeckt wurden. Dieser Umstand, als auch die Konkurrenz zwischen den Wissenschaftlern aufgrund äusserst intensiver Forschungsaktivitäten, kann für den Schutz dieser Orte durchaus problematisch sein.

Die nachhaltige Nutzung und der Schutz der Ozeane ist nur möglich wenn wir die Komplexität des Meeressystems von Grund auf verstehen. Dieses Verstehen kann ausschliesslich durch wissenschaftliches Forschen erlangt werden. Daher stellt die spezialisierte Erkundung der Ozeane einen wichtigen und notwendigen Teil eines effektiven Resourcenmanagements und Umweltschutzes da. Die meisten wissenschaftlichen Beobachtungen und Studien können geringe Störungen innerhalb des Systems, welches erkundet wird, verursachen. Im Interesse des Umweltschutzes muss es daher Ziel der Wissenschaftler sein, diese Störungen so gering wie möglich zu halten, während sie gleichzeitig notwendige Informationen für das Verständnis der verschiedenen Systeme und das Entwickeln nachhaltiger Strategien sammeln. Aus diesem Grund sollten Meereswissenschaftler ihre Forschungspläne jedes Mal von einem konservativen Standpunkt heraus bewerten, um dann die umweltschonenste Methode wählen können.

HINTERGRUND

Warum sind hydrothermale Quellen in der Tiefsee wichtig und einzigartig?

Hydrothermale Quellen kommen in all den Gegenden der Ozeane vor, die sich durch tektonische und/oder vulkanische Aktivitäten auszeichnen. Die Quellen, welche am häufigsten entdeckt werden und am weitesten verbreitet sind, findet man an den Riftzentren der Tiefsee, wo die Platten, die die Erdoberfläche bilden, auseinanderdriften und sich neuer Meeresboden bildet. Das Verständnis der Plattentektonik ist entscheidend, um die Triebkräfte unseres Planeten, einschliesslich extremer geologischer Ereignisse wie Tsunamis, Erdbeben und Vulkanausbrüche zu verstehen. Der Prozess der Plattentektonik schafft ausserdem extreme Lebensräume, die oftmals eine hohe Anzahl an spezialisierten Mikroben und Tieren aufweisen, deren Erkundung zu aufregenden Entdeckungen führen, die von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung sein können.

Hydrothermale Quellen stellen extreme Lebensräume dar aufgrund der dort herrschenden chemischen Verhältnisse und der hohen Temperatur der hydrothermalen Flüssigkeit, sowie den raschen Änderungen in den Eigenschaften dieser Flüssigkeit. Zusaetzlich sind die dort angesiedelten Organismen enormen Gradienten ausgesetzt. Gleichzeitig sind diese Orte in der Tiefsee durch die chemische Energie der Quellenflüssigkeit sehr produktiv. Diese Energie wird von Mikroben umgewandelt und von zahlreichen Tieren zur Fortpflanzung, zum Wachstum, und zur Vermehrung genutzt. Daher finden sich an diesen erstaunlichen Orten dichte Gemeinschaften bemerkenswerter Lebewesen, sie sich speziell an diesen Lebensraum angepasst haben und sich grundlegend von den Organismen der umgebenden Tiefseelandschaft unterscheiden.

Die Mikroben, welche die Basis für die biologische Produktivität aller hydrothermalen Quellen in der Tiefsee bilden, untergliedern sich in verschiedene Gruppen, von denen manche unter wahrhaft extremen Bedingungen überleben. Diese Mikroben gehören zu den primitivsten Lebensformen unseres Planeten. Die Lebensgemeinschaften der hydrothermalen Quellen in der Tiefsee sind in den späten 70iger Jahren entdeckt worden und wir haben gerade erst damit begonnen diesem aufregenden und weitentfernten Lebensraum seine Geheimnisse zu entlocken. Die tiefen Quellen, die an unterschiedlichen Orten entdeckt worden sind, weisen auch unterschiedliche Lebensgemeinschaften auf, ähnlich der verschiedenen Tier-und Pflanzenarten auf den verschiedenen Kontinenten.

Momentan haben Biologen sechs biogeographische Provinzen identifiziert, die im Pazifik, Atlantik und dem Indischen Ozean verstreut sind. Warscheinlich werden in den nächsten Jahren noch mehr Provinzen hinzukommen, wenn zusätzliche Riftzentren in den entlegensten Gebieten, wie zum Beispiel der Arktis, entdeckt werden. Das Potential weitere fundamentale Entdeckungen von hoher biotechnologischer und medizinischer Bedeutung in diesen extremen Lebensräumen zu machen ist gross. Das Weiterführen wissenschaftlicher Studien ist deshalb äusserst wichtig, um die Ökologie der Tiefsee, die dortigen Grenzbereiche des Lebens, und vielleicht sogar den Beginn des Lebens zu erforschen.

Aufgrund des engen Zusammenspiels zwischen der biologischen Aktivität und der hydrothermalen Flüssigkeit, findet man dichte Lebensgemeinschaften nur dort wo es zum aktiven Austritt kommt. Aktive Quellen sind jedoch äusserst sporadischentlang der ozeanischen Riftzentren verstreut. Sie können nur wenige Meter voneinander entfernt sein, oder aber auch bis zu 100 km und weiter. Noch ist nicht bekannt wie die Tiere, welche an diesen Orten leben, sich trotz dieser teilweise grossen Distanzen verbreiten und neue Quellen kolonisieren, was enorm schnell geschieht sobald sich eine neue hydrothermale Quelle gebildet hat. Beobachtungen haben jedoch gezeigt, dass gerade diese Verbreitungs-und Kolonisationsfähigkeit zu einer beachtlichen Homogenität zwischen den Gemeinschaften innerhalb einer biogeographischen Provinz führen.

Die Existenz hydrothermaler Quellen in der Tiefsee kann sehr unbeständig sein. Sie sind das direkte Resultat dynamischer und oft kurzlebiger tektonischer und vulkanischer Aktivität. Einzelne Quellen können innerhalb weniger Jahre entstehen und wieder verschwinden. Die Mikroben und Tiergemeinschaften, die an solchen Quellen vorkommen, entstehen und sterben daher in einem sehr kurzen Zeitraum. Während der ersten dreissig Jahre nach ihrer Entdeckung wurden unzählige dieser Systeme und deren Lebensgemeinschaften bei ihrer Entstehung und ihrem Untergang beobachtet. Die Metapopulationen der tiefen hydrothermalen Quellen müssen sich an extreme geologische Ereignisse anpassen, einschliesslich Vorgängen bei denen der gesamte Lebensraum von heisser Lava bedeckt wird, ein circa 75 m hoher Schornstein einfällt, oder die gesamte Quelle aufhört zu existieren.

VERANTWORTUNGSVOLLES FORSCHEN

Das primäre Ziel dieses Dokuments ist es, unsere Verpflichtung gegenüber verantwortungsbewusster Forschungsaktivitäten an den tiefen hydrothermalen Quellen zu bestätigen. Als Mitglieder der internationalen Forschungsgemeinschaft rufen wir alle Wissenschaftler dazu auf, sich an die folgenden Richtlinien zu halten:

1) Vermeiden Sie Aktivitäten im Rahmen von Forschungsvorhaben, welche zerstörerische Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit der Populationen an den tiefen hydrothermalen Quellen haben.

2) Vermeiden Sie Aktivitäten im Rahmen von Forschungsvorhaben, welche zu einer nachhaltigen und deutlichen Veränderung und/oder sichtbaren Zerstörung dieser Lebensräume führen könnten.

3) Vermeiden Sie das Sammeln von Proben im Rahmen von Forschungsvorhaben, die für die wissenschaftliche Forschung nicht erforderlich sind.

4) Vermeiden Sie es, geologisches Material als auch die Fauna von ihren ursprünglichen Standorten zu entfernen und an andere Standorte zu transportieren.

5) Erkundigen Sie sich über aktuelle sowie geplante Forschungsvorhaben im Forschungsgebiet Ihres Interesses und vermeiden Sie Aktivitäten, welche die Experimente und Beobachtungen anderer Wissenschaftler beeinträchtigen können. Vergewissern Sie sich, dass die internationale Forschungsgemeinschaft von Ihren Plänen in Kenntnis gesetzt wird, indem Sie diese auf der InterRidge Webseite und in anderen Datenbanken veröffentlichen.

6) Unterstützen Sie den Zugang und die Verwendung aller biologischen, chemischen und geologischen Proben durch die globale Wissenschaftsgemeinschaft indem Sie kooperative Zusammenarbeit fördern.

Ferner verpflichten wir uns, sämtliche Daten, Ideen und Proben für die internationale Gemeinschaft  zugänglich zu machen, um unnötige wissenschaftliche Aktivitäten an den hydrothermalen Quellen, wie wiederholtes Probensammeln zu vermeiden und um das globale Verständnis dieser Lebensräume für das Wohl aller Menschen zu fördern.

Als Beispiel dienen das Census of Marine Life Programm und InterRidge, die frei zugängliche Datenbanken entwickelt haben, in denen sämtliche biologischen Daten aus Laboren und Museen der ganzen Welt erfasst sind, um das wiederholte Probensammeln an den hydrothermalen Quellen zu minimieren.

INTERRIDGE:

InterRidge ist eine gemeinnützige Organisation, deren Anliegen es ist, alle Aspekte der Forschung am mittelozeanischen Rücken zum Wohle der gesamten Menscheit zu fördern. Die InterRidge Mitglieder sind sich bewusst, dass die Forschung an diesen weltweit verbreiteten aber schwer zugänglichen Lebensräumen nur durch internationale Kooperation erfolgreich sein kann.

Das InterRidge Mandat hat vier prinzipielle Komponenten:

1) Die Bildung und Förderung einer interaktiven Forschungsgemeinschaft.

2) Die dringendsten Fragen innerhalb der Forschung zu identifizieren, und zwar durch die InterRidge Arbeitsgruppen und die Workshops und Konferenzen, welche von diesen organisiert werden.

3) Bei politischen Diskussionen als Repräsentant der internationalen “Ridge” Gemeinschaft zu fungieren.

4) Durch Bildung und Öffentlichkeitsarbeit die Wichtigkeit und die Faszination der “Ridge” Forschung sowohl an die allgemeine Öffentlichkeit als auch weltweit an die Politik zu vermitteln.

Gegenwärtig wird InterRidge durch einen Vorstand geleitet, welcher sich aus Repräsentanten aus 11 Mitgliedsnationen zusammensetzt, welche nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch die Interessen weiterer 19 Nationen (Korrektur Februar 2008) vertreten.

KONSENS:

Der InterRidge Vorstand und die Vorsitzenden aller InterRidge Arbeitsgruppen unterstützen einstimmig diese Verpflichtungserklärung bezüglich einer verantwortungsvollen Forschung an den hydrothermalen Quellen in der Tiefsee. Sie fordern die Wissenschaftler aller Nationen dazu auf, beim Planen und Ausführen ihrer Forschungsaktivitäten den genannten Richtlinien zu folgen.

Unterzeichnet am 17. Februar 2006, IFM-GEOMAR, Kiel, Deutschland, durch:


Prof. Colin Devey,
InterRidge Vorsitzender

Im Namen von InterRidge und im speziellen im Namen von:

Colin Devey, IFM-GEOMAR, Deutschland, Vorsitzender InterRidge
Charles Fisher, Penn State University, USA, stellvertretender Vorsitzender der InterRidge Biologie Arbeitsgruppe
Nicole Dublier, Deutschland, stellvertretender Vorsitzender der InterRidge Biologie Arbeitsgruppe
Kim Juniper, Universite de Montreal, Kanada, Leitender Wissenschaftler NEPTUNE Canada
Stéphane Hourdez, Frankreich, Mitglied der InterRidge Biologie Arbeitsgruppe
Francoise Gaill, Universite de Paris, Frankreich, ehemaliger Vorsitzender, InterRidge Biologie Arbeitsgruppe
Tim Shank, Woods Hole Oceanographic Institution, USA, Mitglied der InterRidge Biologie Arbeitsgruppe
Ken Takai, JAMSTEC, Japan, Mitglied der InterRidge Biologie Arbeitsgruppe
Anna Metaxas, Dalhousie University, Kanada, Mitglied der InterRidge Biologie Arbeitsgruppe
Donna Blackman, Scripps Institute of Oceanography, USA, Vorsitzende Ridge 2000 Programm
John Chen, Dept. of Geophysics, Peking University, InterRidge Vorstandsmitglied für China
Jérôme Dyment, Institut de Physique du Globe de Paris, InterRidge Vorstandsmitglied und nationaler Repräsentant für Frankreich, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Hotspot-ridge interactions"
K.A. Kamesh Raju, National Institute of Oceanography, Goa, Indien, InterRidge Vorstandsmitglied für Indien
Nobukazu Seama, Kobe University, Japan, InterRidge Vorstandsmitglied für Japan
Rolf Pedersen, University of Bergen, Norwegen, InterRidge Vorstandsmitglied für Norwegen
Paul Dando, University of Wales-Bangor, InterRidge Vorstandsmitglied für das Vereinigte Königreich
Tim Henstock, National Oceanography Centre, Southampton, InterRidge Vorstandsmitglied für das Vereinigte Königreich
Jonathan Snow, University of Houston, USA, Vorsitzender der Arbeitsgruppe “Ultraslow-spreading ridges”
Javier Escartin, University Paris VI, France, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe “Monitoring and Observatories”
Ricardo Santos, University of Azores, Portugal, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe “Monitoring and Observatories”
Benoit Ildefonse, University of Montpellier, Frankreich, Vorsitzender der Arbeitsgruppe “Deep Earth Sampling”
Nadine le Bris, IFREMER, Frankreich, Vorsitzende der Arbeitsgruppe “Biogeochemical interactions at deep-sea vents”


Wenn Sie ihre Unterschrift hinzufügen möchten
, besuchen Sie bitte:

http://www.interridge.org/node/add/signstatement

Bitte kontaktieren Sie den InterRidge Koordinator für die aktualisierte Liste der Unterzeichner.


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